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Woran kannst du erkennen, ob das beeindruckende Gebäude, welches du gerade passierst, ein Jugendstilhaus ist? Reicht es aus, dass es mit Ziegelsteinen gebaut ist? Muss es einen Turm haben?

Sind vielleicht die Fenster oder die prächtige Fassade typische Erkennungsmerkmale? Du stehst also da und fragst Dich: „Ist das Jugendstil?“

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Stadt Ålesund zu sehen und zu erleben. Für einen tollen Blick auf die Stadt steigst Du am besten die Stufen zum Aussichtspunkt Aksla hinauf. Nicht genug körperliche Herausforderung? Einen überragenden Überblick bekommst Du nach einer Wanderung auf den „Sukkertoppen“ (Zuckerhut), einem kleinen Berg auf der Insel Hessa, südlich des Stadtzentrums. Weniger anstrengend, aber ebenso empfehlenswert ist ein Spaziergang entlang des Meeresufers, indem du beispielsweise den schwimmenden Gehweg entlang des Hafens nimmst.

Wer jedoch die einzigartige Architektur und den besonderen Charme der Stadt wirklich kennenlernen möchte, macht sich auf den Weg durch die Straßen und Gassen der Innenstadt. Es lohnt sich, ab und an die Straßenseite und damit die Perspektive auf die Gebäude zu wechseln.

Du kannst die Stadt gerne auf eigene Faust erkunden, aber einen lokalen Reiseführer mit auf die Tour zu nehmen ist sehr zu empfehlen. Zusammen mit jemandem, der genau weiß, worauf man achten muss, tauchen an den Fassaden von Ålesund interessante Details auf, die dir sonst vermutlich nicht aufgefallen wären.

Die Reiseführerin Signe Elvik Svoen ist eine echte Expertin. Sie arbeitet im „Jugendstilsenteret“ (dem Jugendstilzentrum) in Ålesund. Signe ist Architektin und eine Koryphäe, wenn es um Denkmalpflege und den Umbau von historischen Gebäuden geht. Bescheiden bietet sie an: „du kannst einfach Architektin schreiben“.

Signe arbeitet als Konservatorin für Jugendstilarchitektur und gelegentlich organisiert sie Stadtführungen für Kultur- und Architekturinteressierte. Während der Tour wird dir eindrucksvoll vermittelt, was ein Jugendstilhaus kennzeichnet. Gleich zu Beginn der Führung erfahren wir, dass es nicht nur auf ein einzelnes Detail ankommt, um zu ermitteln, ob ein bestimmtes Gebäude Jugendstil ist. Vielmehr ist es das Gesamtbild, der vollständige Ausdruck des Gebäudes, welcher ein typisches Jugendstilhaus ausmacht.

Signe is our guide from Jugendstilsenteret and KUBE in Ålesund|© Viti
Apotekergården - the art museum Jugendstilsenteret and KUBE|© Marius Bech Dahle

Wenig überraschend treffen wir uns zur Stadtführung vor dem „Jugendstilsenteret“ mitten im Zentrum von Ålesund. Das historische Gebäude beherbergte früher die Hauptapotheke und heißt demzufolge noch heute „Apotekergården“.

Signe zeigt und erklärt fachkundig. Gemeinsam stehen wir auf dem Bürgersteig und neigen den Kopf in den Nacken, um das gesamte Gebäude zu betrachten.

Details und große Fassaden

Wir sehen angebaute Türme und aufwendig gestaltete Dächer, Ein Gebäude aus grob behauenem Naturstein, mit Bögen über den Fenstern und den Türen. Aus den mit Ornamenten verzierten Fassaden ragen Erker mit Gittermuster in den Fenstern.

Signe verrät, dass dieses Stadthaus vom Architekten Hagbarth Schytte-Berg entworfen und 1907 fertiggestellt wurde. Das Gebäude hat einen nationalromantischen Charakter und der Architekt ließ sich von der Natur inspirieren. Das grobe Baumaterial deutet in diese Richtung. Dann entdecken wir Ornamente, die von der mittelalterlichen Kunst Norwegens inspiriert sind, mit geschwungenen Schlangen und Wikinger-Motiven als Stilelemente. Die Bögen und Erkerfenstern erinnern an unerwartete Felsformationen. Hier sind der Fantasie und weiteren Assoziationen keine Grenzen gesetzt.

Wir drehen uns um und betrachten ein anderes Gebäude. Es ist ein helles Haus mit verputzten Mauern, blassgelb-beige, fast weiß. Ein Haus von, nennen wir es „feinerer“ Bauart, im Gegensatz zum grob behauenen „Jugendstilsenteret“. „Apotekergata 9“ trägt die Jahreszahl 1905. Es stammt demnach aus derselben Zeit. Das Haus hat ebenfalls einen Turm und Bögen über Fenstern und Türen. Mit den fachkundigen Hinweisen von Architektin Signe tauchen weitere Details im Auge des Betrachters auf. Wir entdecken Ornamente mit roten Blumen, ein kleines Gitterfenster über dem Tor und den Turm, der aus der Fassade herauszuwachsen scheint. Alles Beispiele für die Plastizität, welche die Architekten aus dem harten Baumaterial herauszuholen wussten. Es sind so viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Stadthäusern! Signe erklärt, dass auch hier der nationalromantische Stil zum Ausdruck kommt, da die Blumenornamente typische Blumen der norwegischen Küstenflora darstellen.

Wir drehen uns um und betrachten ein anderes Gebäude. Es ist ein helles Haus mit verputzten Mauern, blassgelb-beige, fast weiß. Ein Haus von, nennen wir es „feinerer“ Bauart, im Gegensatz zum grob behauenen „Jugendstilsenteret“. „Apotekergata 9“ trägt die Jahreszahl 1905. Es stammt demnach aus derselben Zeit. Das Haus hat ebenfalls einen Turm und Bögen über Fenstern und Türen. Mit den fachkundigen Hinweisen von Architektin Signe tauchen weitere Details im Auge des Betrachters auf. Wir entdecken Ornamente mit roten Blumen, ein kleines Gitterfenster über dem Tor und den Turm, der aus der Fassade herauszuwachsen scheint. Alles Beispiele für die Plastizität, welche die Architekten aus dem harten Baumaterial herauszuholen wussten. Es sind so viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Stadthäusern! Signe erklärt, dass auch hier der nationalromantische Stil zum Ausdruck kommt, da die Blumenornamente typische Blumen der norwegischen Küstenflora darstellen.

Anhand der sich wiederholenden Charakteristika lässt sich ein Trend erkennen und es erschließt sich bereits zaghaft der Hintergrund. Der Jugendstil, wie er von nachfolgenden Generationen benannt wurde, war kein bewusster Ausdruck voller festgelegter Regeln. Vielmehr basierte die Architektur auf zeitgenössischen Elementen, Trends und Reflexionen älterer Ausdrucksformen. Signe erklärt: die Architekten haben sich seinerzeit nicht an den Zeichentisch gesetzt und gedacht: „jetzt entwerfe ich ein Gebäude im neobarocken Stil!“

Wie bei allen Stilrichtungen und Strömungen innerhalb der Architektur lässt sich über die Tendenz erst im Nachhinein etwas sagen.

Jedes Gebäude ist in der Regel getrieben von Impulsen. Diese Impulse können davon abhängen, wovon der Architekt inspiriert ist. In Verbindung mit anderen Gebäuden und Stilrichtungen aus derselben Zeit kann in der Retrospektive die Einordnung als Jugendstil erfolgen. Oder Art Nouveau, wenn Sie so wollen.

Im konkreten Fall von Ålesund waren unter anderem Inspirationen aus der norwegischen Küstenlandschaft maßgeblich, die mit Traditionen der europäischen Architektur vermischt wurden.

Übernachtung

In Begleitung eines Experten bleibt keine Frage unbeantwortet. Spontan frage ich Signeetwa, ob es damals auch alternative Bauweisen gab.Oh ja, es gab unzählige Möglichkeiten, Gebäude zu planen und zu bauen. Es ist keineswegs so, dass alle Gebäude aus dieser Zeit im Jugendstil endeten!“

Signe führt aus, dass es keinen Generalplan gab, Ålesund als Jugendstilstadt zu bauen. Vielmehr fanden mehrere Architekten mit ähnlichen Visionen gleichzeitig den Weg nach Ålesund.

Nachfolgend eine kleine Geschichtslektion für diejenigen, die nicht wissen, was hinter dem gleichzeitigen Wiederaufbau steckt:

Ålesund's colorful cobblestone pedestrian street|© Oddgeir Visnes

Eine Stadt aus dem Flammenmeer

Ganz Ålesund stand in Flammen. Das gesamte Stadtzentrum brannte innerhalb eines Tages und einer Nacht am 23. Januar 1904 nieder. Ein Holzhaus nach dem anderen wurde ein Raub der Flammen, die sich mit hoher Geschwindigkeit inmitten eines Wintersturms ausbreiteten. Die Brandursache ist bis heute ungeklärt, aber man kam zur Erkenntnis, dass die eng stehenden Holzhäuser an einem derart wetterexponierten Ort keine Chance gegen das Feuer ließen. Die Löscharbeiten waren aussichtslos, solange der Wind wehte und das Feuer immer weiterverbreitete.

Aus den Ruinen sollte eine neue Stadt entstehen, diesmal allerdings gebaut mit Ziegeln und Mauerwerk. Ein nationales Projekt wurde ins Leben gerufen. Die meisten der involvierten Architekten waren Norweger, die jedoch im Ausland ausgebildet waren und Inspiration aus europäischen Metropolen mitbrachten. Sie ersannen, planten und entwarfen die neuen Gebäude. Steinbrüche aus dem ganzen Land lieferten das Baumaterial und Arbeiter strömten von überall her nach Ålesund. Innerhalb weniger Jahre stand Ålesund wieder. Das Stadtbild unterschied sich jedoch deutlich von der kleinen Holzhaussiedlung, die niedergebrannt war.

Vend blikket oppover medan du utforskar byen og du vil oppdage jugendstilens mangfoldige uttrykk.|© Oddgeir Visnes / TIBE

Ein einzigartiges Beispiel

„Wegen der hohen Konzentration an Jugendstilgebäuden ist Ålesund sowohl national als auch international einzigartig“, sagt Signe. Das gesamte Stadtzentrum wurde innerhalb von nur drei Jahren wieder aufgebaut. Daraus resultiert eine Vielzahl von Gebäuden aus derselben Zeit. Es ist genau diese einheitliche, urbane Umgebung, die Ålesund einzigartig macht.

Als Grundlage diente eine neue Bauverordnung, die vorsah, dass das Baumaterial der neuen Stadt Ziegel und Beton sein musste. Die Dominanz des Jugendstils begründet sich darin, dass dieser Architekturstil zur Zeit des Wiederaufbaus in Mode war.

Die Bauherren holten sich Anregungen von den Nachbargebäuden und die Architekten inspirierten sich gegenseitig. Immer dann, wenn das Bauprojekt höhere Kosten zuließ, wurde in die Ausstattung mit prächtigen Dekorationen investiert. Andere Bauherren mussten sich hingegen mit einfachen gestalteten Fassaden begnügen.

Essen

Widersprüchliche Stile

Am Ende der Stadtführung stoßen wir auf ein eher schlichtes Gebäude: Apotekergata (Apothekerstraße) Nr. 5. Das kann doch kein Jugendstilgebäude sein, oder? Keine Ornamente!

Doch, erfahre ich, auch dieses Gebäude wird dem Jugendstil zugeordnet, wenn auch einer etwas anderen Richtung.

Signe fordert uns auf, darauf zu achten, wie das Gebäude der Topografie folgt. Entlang des Bürgersteigs, der schräg die Straße hinunterführt, verlaufen die Türen und Fenster. Dadurch ergibt sich eine etwas ungeordnete Fassade, da die Orientierung an der Schräge zu ungleichmäßigen und asymmetrischen Abständen zwischen den Fenstern führt. Dabei handelt es sich vermutlich um ein charakteristisches Detail des Jugendstils, der, wie die Natur, nicht immer gerade und symmetrisch ist.

Gerade wenn man glaubt, die Zusammenhänge erfasst zu haben, kommt ein weiterer Aspekt hinzu und bringt alle vermeintlichen Erkenntnisse erneut durcheinander.

Vielleicht musst du deine Erkundung einfach fortsetzen, einige weitere Stunden suchen und viele neue, spannende Eindrücke sammeln.

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